Angekommen auf Spitzbergen
Wir sind am frühen Montagnachmittag am 27. Juni 2022 in der ‚Hauptstadt` Svalbards – so heißt Spitzbergen in Norwegen, in Longyearbyen angekommen. Gesprochen Lung-yer-bin. Man fühlt sich wie auf einem nördlichen Außenposten der Menschheit. Eine karge, baumlose, leicht bergige Landschaft, Schnee und Gletscher ringsherum, der Boden ist tiefgefroren, Tagestemperatur derzeit rund 5 Grad Celsius – Hochsommer. Die Gebäude und Lagerplätze verstärken den Eindruck noch. Die Stadt ist nur rund 1310 Kilometer vom Nordpol entfernt, mithin die nördlichste Siedlung der Welt. Derzeit scheint rund um die Uhr die Sonne, vom 26. Oktober bis 15. Februar bleibt sie dagegen vollständig unter dem Horizont, es herrscht fortwährend schwarze Nacht.
Hier geht es zu Teil III, rund um Spitzbergen bis an die Packeisgrenze und hier zu der Reise durch Mittelnorwegen und die westlichen Fjorde, (Teil I)
Gegründet hat die Stadt der Amerikaner John Munroe Longyear 1906 als Bergarbeiterstadt, der reichen Kohlevorkommen wegen. Rund 2200 Menschen leben hier, auf der ganzen Insel 2700. Viele davon immer noch vom Bergbau, in Betrieb ist aber nur noch eine Grube nahe der Stadt gelegen. Ein Drittel der abgebauten Kohle verfeuert das einzige Kraftwerk der Insel, der Rest wird exportiert. Aus alten Zeiten übrig geblieben ist der Brauch, dass Besucher im Eingangsbereich ihre Schuhe ausziehen und die Häuser mit Socken oder Hausschuhen betreten. Der Grund: Früher waren die Minenarbeiter oft sehr staubig und dreckig. Schuhe aus, das gilt auch für Hotels oder Museen.
Zunehmend wichtig ist seit den 1990er-Jahren die Forschung und der Tourismus. So kommen pro Jahr etwa 30.000 Besucher nach Spitzbergen, 20.000 sind mit Kreuzfahrtschiffen unterwegs. Ist überschaubar. In Norwegen nennt man die Insel Svalbard, was für Kühle Küste steht.
Zentrum der Forschungsaktivitäten ist der Svalbard Forskingpark, mit einer Universität, dem Polarinstitut und der EISCAT-Radaranlage. 32 und 42 m große Parabolspiegel dienen der Erforschung der Atmosphäre, der Nordlichter und des Ozons. Dann gibt es noch die Svalbard Satellite Station (SvalSat). Sie ist für die Kommunikation und Kontrolle von Satelliten mit polarer Umlaufbahn zuständig.
Longyearbyen verfügt über eine moderne Infrastruktur, Geschäfte, Restaurants, Hotels, Schule, Kindergarten, auch Kino, Schwimmbad und Hafen. Das Straßennetz umfasst aber nur 40 km rund um den Ort herum, Schneemobil und Boote sind die Fortbewegungsmittel der Wahl.
Von der ursprünglichen Minenarbeit ist nicht mehr viel zu sehen, sprengte die deutsche Wehrmacht im zweiten Weltkrieg doch vieles. Alles was die Zerstörungsorgie überstanden hat, untersteht heute dem Denkmalschutz.
Ein Gerücht übrigens hält sich hartnäckig – in Reiseführern und besonders im Internet. Auch manch Reiseleiter erzählt die Story: das gesetzliche Sterbeverbot. Ein Gesetz von 1950 soll nämlich das Sterben hier verbieten. Der Grund: Der Permafrostboden, der ein Bestatten problematisch mache. Das aber ist Unfug. Longyearbyen war lange Zeit das Betriebsgelände einer Firma und es gab nur firmeneigene Unterkünfte.
Hörte man auf zu arbeiten oder ging in Rente, verließ man die Stadt in Richtung Festland. Also wurde hier nicht gestorben, außer durch einen Unfall. Zudem gibt es hier keine Alters-oder Pflegeheime und das Krankenhaus ist klein. Stirbt ein Bewohner von Longyearbyen, wollen sie meist in der Heimatgemeinde auf dem Festland beerdigt werden. Leben doch die wenigsten mit ihrer Familie über Generationen in der Stadt. Will jemand dennoch hier beerdigt werden, so ist auch das möglich. Allerdings nur als Urnenbegräbnis. Zuletzt 2014 geschehen. So viel zu den vielen falschen Erzählungen.
Unfug ist auch die Behauptung, es gebe ein gesetzliches Gebot, eine Waffe zu tragen.Der gesunde Menschenverstand gebietet es jedoch, außerhalb der Stadt eben eine geeignete Waffe zu tragen. Es ist Eisbärenland, auch wenn Begegnungen recht selten sind. 2020 wurde ein Niederländer in Longyearbyen durch einen Eisbären auf dem Campingplatz getötet, das ist aber äußerst selten. Das Gesetz fordert nur, ein geeignetes Abschreckmittel außerhalb der Stadt mitzuführen. Etwa eine Signalpistole mit spezieller Munition. Wer ohne Gewehr in Spitzbergen außerhalb von Longyearbyen unterwegs ist, mag vielleicht lebensmüde sein. Er ist aber nicht illegal unterwegs.
Auf Vogelpirsch rund um Longyearbyen
Mittwoch, 29. Juni: Heute ist einer der seltenen Tage auf Spitzbergen für diese Jahreszeit, wo es regnet. Generell fällt wenig Niederschlag auf der Insel, hier um Longyearbyen sind es nur etwa 200 mm pro Jahr. Und im Juni regnet es eigentlich nur an drei Tagen. Die Jahresmitteltemperaturen liegen bei – 7,5 °C, recht warm für diese Breitengrade, bedingt durch Ausläufer des Golfstromes. Am wärmsten ist es im Juli mit 5 °C, selten bis maximal 10 °C, am kältesten im Februar mit – 14 °C, im Einzelfall wurden aber auch schon – 30 °C gemessen.
Wir sind mit einem Guide unterwegs, um die Umgebung von Spitzbergen mit dem Auto zu erkunden. In erster Linie steht Vogelbeobachtung auf dem Programm, aber auch Rentiere kreuzen unseren Weg. Die hier sind kleiner und gedrungener als die vom skandinavischen Festland und leben wild. Halten sich aber gern in der Umgebung von Siedlungen auf, da darf nicht gejagt werden.
An Vögeln recht häufig sieht man die Dreizehenmöve und die Eiderenten. Seltener dagegen ist die Prachteiderente, von der wir auch ein Exemplar sahen. Sehr aggressiv sind die Küstenseeschwalben, die gehen gerne sofort auf Attacke. Hier heißt es in der Nähe des Autos zu bleiben. Auch einen einzelnen Papageientaucher entdecken wir, an ungewöhnlicher Stelle. Der Guide vermutet das er krank ist und meldet ihn und den Ort einer Behörde. Denn es besteht das Risiko, dass der Vogel an Vogelgrippe erkrankt ist. Am 24. Juni ist sie erstmals in der Arktis nachgewiesen worden. Forscher hatten schon damit gerechnet, dass das Virus auch in Spitzbergen ankommen würde, da einen großen Ausbruch im Frühjahr unter Gänsen in Schottland gab, und die ziehen zum Brüten nach Svalbard. Das Virus ist Vögel hoch ansteckend und tödlich. Man rechnet für die großen Vogelkolonien in Spitzbergen mit möglicherweise fatalen Folgen. Deswegen sollen Funde toter oder kranker Vögel gemeldet werden.
Zwischendurch führen wir noch am Global Seed Vault – dem Saatguttresor auf Spitzbergen vorbei. Rein kann man jedoch nicht und man sieht nur den gesicherten Eingang in des unterirdische Lagersystem. Dennoch ist dies ein sehr wichtiger Platz für die Zukunft der Menschheit. In Betrieb genommen 2008 lagern hier im Permafrostboden rund eine Million Samenproben von Nutzpflanzen aus aller Welt, in Plastikboxen verpackt, sicher vor dem Anstieg des Meeresspiegels, vor Erdbeben, Seuchen, radioaktiver Strahlung oder menschengemachter sowie Naturkatastrophen. Sie können helfen nach einer Katastrophe die Erde wieder zu kultivieren.
Zu guter Letzt fuhren wir noch zu einem Zelt des Veranstalters, wo wir uns aufwärmen konnten und der Guide ein paar Würste für uns grillte. Hier besuchte uns auch ein Skua, eine Raubmöwe mit der Hoffnung auf Beute. Der Guide kommt aus Westfahlen, hat in Tromsø und Longyearbyen Biologie studiert und schreibt gerade eine Publikation. Ideal, er konnte uns sehr viel über die Insel und Tierwelt erzählen und das auf Deutsch. Trotz des Regens ein interessanter Tag mit viel Informationen.
Kohle, das Lebenselixier vergangener Tage
Donnerstag, 30 Juni: Kohle ist der Grund für die Existenz Longyearbeans und der Exploration der Insel Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Qualität der Steinkohle ist sehr gut – sie besteht zu 98 Prozent aus reinem Kohlenstoff, so dass sich der Abbau im hohen Norden lohnt. Heute ist nur noch Mine 7 in Betrieb, etwa 30 Prozent der geförderten Kohle von rund 130.000 Tonnen wird für das inseleigene Kraftwerk benötigt, der Rest wird exportiert, vor allem nach Deutschland. Dort findet die Kohle etwa bei der Herstellung hochwertigen Stahles ihren Einsatz, etwa für Motorenblöcke von Automobilen. Die Mine soll aus Umweltschutzgründen jedoch im Laufe des Jahres 2023 geschlossen werden, so jedenfalls hat es die norwegische Regierung vor. Dann beheizt man das Kraftwerk, das neben Strom vor allem Wärme für die Häuser produziert mit Diesel. Ob das die Umwelt schont, ist sicher zu bezweifeln. Fotovoltaik macht so weit im Norden absolut keinen Sinn, Windenergie erzeugt keine Wärme, der Alternativen gibt es nicht viel.
Wir besuchten heute Morgen jedenfalls die 1971 in Betrieb genommene und 1996 geschlossene Grube Nr. 3. Wobei sie nur temporär außer Betrieb ist, würde man sie endgültig schließen, müsste alles rückgebaut und renaturiert werden. Das gilt für alle Minen nach dem zweiten Weltkrieg, alles davor steht unter Denkmalschutz.
Die rund 3-stündige Tour lohnt, und wir haben einen wunderbaren Guide, der voll engagiert ist und wirklich viel erzählen kann. Auch Geschichten aus der damaligen Zeit. Die Arbeit war extrem schwer, unter Tage herrscht Permafrost, in den Gängen so um die minus zwei Grad, die Schichten dauerten acht Stunden und man arbeitete mit schwerem Gerät (alles Handarbeit) in Flözen von um die 50 / 60 cm Höhe. Also den ganzen Tag liegend und kriechend. Ungefährlich war es auch nicht. Dennoch blieben nicht wenige ihr Leben lang dieser Arbeit treu, der sehr guten Bezahlung wegen, geringer Steuern und der – nicht selten fast familiären Kameradschaft unter den Bergleuten.
Schön auch, als das Bergwerk aufgelassen wurde, konnte man für die Mine 7 nichts verwenden, denn das aktuelle Bergwerk ist hoch automatisiert. Also beließ man alles wie es war, ließ alles liegen wie Werkzeug, Maschinen und Kleidung, nichts wurde abgebaut. Das gibt einen sehr guten Eindruck , wie hier in den 70er- bis 90er-Jahren gearbeitet wurde.
Am frühen Abend sind wir noch einmal mit einem Guide, diesmal eine junge Dame aus dem Ruhrgebiet, in der Gegend von Spitzbergen umhergefahren – auf ähnlichen Wegen wie gestern, ist das Straßen- und Pistennetz hier doch nur 40 km lang. Nur diesmal bei schönerem Wetter. Mehr Tiere als Gestern ließen sich aber auch nicht sehen, eine Herde Rentiere kreuzte unseren Weg und viele altbekannte Vogelarten. Von den Hügeln umher gab es eine gute Sicht auf Longyearbyen und wir fuhren auch an den alten Mienen 5 und 6 vorbei bis zur aktiven Grube 7. Wir besuchten noch die neue Kirche und auch den nahegelegenen Friedhof. Einige schöne Bilder entstanden dabei, mehr gibt es eigentlich nicht zu berichten.
Mehr zu Norwegen und der Arktis
Teil III der Reise führt uns rund um Spitzbergen und in die Arktis.
Wen es interessiert, hier geht es zu der Reisereportage mit dem Motorrad durch Schweden, Finnland und Norwegen ans Nordkap und zurück die Westküste Norwegens entlang nach Bergen.
Auch über eine Winterreise mit dem Postschiff von Hurtigruten die Küste Norwegens entlang gibt es eine Reportage, von Bergen bis ganz in den Norden nach Kirkenes und wieder zurück.